Als ich ein Kind war, hatten wir einen Boxer. Troll. Wenn ich von der Schule heimkam, sagte meine Mama immer als erstes (bevor es Mittagessen gab): "Geh mit dem Hund spazieren!" Ich war nicht immer hochauf begeistert, vor allem auch deshalb, weil Troll "nur" schnüffeln wollte. Jeder Baum, Busch und jedes Fleckchen Gras musste genau von ihm inspiziert werden. Auch wenn mir das als Kind eher langweilig erschien, so wusste ich doch, dass ich den Hund beim Schnüffeln in Ruhe lassen sollte. Das war einer unserer Grundsätze in der Familie. Der Spaziergang galt dem Hund und da durfte er schnüffeln, so lange er wollte.
Heute ist mir klar, wie recht meine Mama damit hatte und ich sag diesen Satz sehr oft meinen KundInnen. Für mich ist es immer spannend zu sehen, dass viele HundehalterInnen darüber noch nie nachgedacht haben. Warum geht ein Hund eigentlich "spazieren"? Und wie wichtig ist das für den Hund?
In meiner Podcastepisode Staffel 2, Folge 21 spreche ich über Wahlmöglichkeiten für Hunde. Diese sind wichtig, damit der Hund Kontrolle über sein Leben haben kann. Kontrolle über sein eigenes Leben zu haben ist ein essentielles Grundbedürfnis. Das geht auf das Grundbedürfnismodell des Psychologen Seymore Epstein aus den frühen 1990er Jahren zurück. Dass es physiologische Bedürfnisse gibt, ist uns allen klar (essen, trinken, Sauerstoff, etc), aber er hat auch festgestellt, dass es grundlegende psychische Bedürfnisse gibt, die erfüllt sein müssen, damit es einem Menschen gut geht. Epsteins Modell wurde im Laufe der Zeit immer wieder überprüft und angepasst und sehr viel an Tieren erforscht, daher kann man es auch wirklich an unseren Hunden anwenden. Die wichtigsten Bedürfnisse sind demnach:
Das Bedürfnis nach Lustgewinn und dem Vermeiden von Unlust
Das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle
Das Bedürfnis nach Bindung
Auf das zweite Bedürfnis beziehe ich mich, wenn ich davon spreche, dass Hunde Wahlmöglichkeiten brauchen. Da geht es darum, dass hochentwickelte Lebewesen in verschiedenen Situationen handlungsfähig bleiben möchten, sie möchten also die Wahl haben und selbst entscheiden. Ich denke, das können wir gut nachvollziehen. Dabei spielt das Bedürfnis nach Sicherheit eine Rolle, das erfüllt ist, wenn das Ergebnis der Wahl einigermaßen vorhersehbar ist. Daher ist der Kontrollverlust für ein Lebewesen ein sehr großer Stressfaktor und führt zu dauerhaften psychischen Störungen.
Der Alltag des Hundes - ein Leben in Gefangenschaft?
Überleg dir mal, wie dein Hund seinen Alltag verbringt? Kann er aufs Klo gehen, wann er will, hat er freien Zugang zu einem Garten, oder muss er warten, bis du nach Hause kommst und ihm die Tür öffnest? Kann er schlafen, wo er will, oder weist du ihm einen Platz zu? Kann er dort spazieren gehen, wo er will oder gibst du die Richtung vor? Kann er fressen, wann er will, oder muss er warten, bis du ihm das Futter hinstellst? Kann er sich seine Hundefreunde selbst aussuchen, oder schickst du ihn zum fremden Hund auf der Hundewiese, damit er "schön spielen" kann? Kann er sich vor fremden Personen zurückziehen, wenn er das möchte, oder muss er sich von ihnen bedrängen und betatschen lassen, weil er doch so süß ist? Kann er sich vor Kindern in Sicherheit bringen, wenn sie ihm zu viel werden und ist dieser Rückzugsort wirklich sicher? Kann er im Auto auf der Rückbank sitzen und rausschauen oder muss er in der engen Box im Kofferraum ausharren? Kann er entscheiden, wann und wie lange er spazieren gehen möchte, oder läuft es nach deinem Terminkalender? Kann er schlafen, wann und wie lange er will, oder weckst du ihn auf, weil ihr um 13 Uhr Training habt? Die Liste an Bespielen ließe sich noch lange fortsetzen, aber ich denke, du verstehst, worauf ich hinaus will.
Wir kontrollieren das Leben unseres Hundes. Trotzdem wollen wir, dass unser Hund glücklich ist. Das passt leider nicht zusammen. Wir müssen ihm mehr Möglichkeiten bieten, Dinge, die für ihn und sein Leben wichtig sind, selbst zu entscheiden. Natürlich muss ein Hund das auch erst lernen. Man kann von keinem Welpen oder Junghund verlangen, dass er gut nachdenkt, bevor er handelt. Das ist biologisch gar nicht möglich, weil das Gehirn noch nicht vollständig entwickelt ist. Aber unsere Aufgabe ist es, unseren Welpen oder Junghund in Situationen zu bringen, in denen er in einer sicheren Umgebung selbst entscheiden darf, was er tun möchte. So etwas ist z.B. möglich in einem Enriched Environment. Du findest hier in meiner Videothek ein Video, in dem du sehen kannst, wie ein Enriched Environment aussehen kann und was es ist.
Wenn du Fragen dazu hast, freue ich mich über eine Nachricht von dir: info@nasenarbeit-hunde.com
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