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AutorenbildSarina Kriechbaum

"Deine Liebe treibt mich in den Wahnsinn!"

Aktualisiert: 4. Okt. 2022

Sagt dir der Begriff "Helikopter-Eltern" etwas? Das sind überfürsorgliche (überbesorgte) Eltern, die ihre Kinder ständig kontrollieren wollen, indem sie sich exzessiv in die Angelegenheiten der Kinder einmischen. Das kommt dir bekannt vor? Hast du das selbst erlebt oder ertappst du dich gar dabei, selbst so ein Elternteil zu sein? Ach, du hast keine Kinder? Dann gehörst du vielleicht zur Kategorie "Helikopter-Hundeeltern"? Den Begriff gibt es offiziell nicht, aber ich denke, es gibt solche Menschen. Das erkenne ich an den Hunden, mit denen ich es täglich zu tun habe.

Diesem Hund ist die Umarmung überhaupt nicht angenehm. Das Problem ist, solche Fotos findet man überall im Netz und sie werden als positiv dargestellt. Dieses Foto heißt z.B. "Lebenslange Freundschaft".

Neulich bei einem Ersttreffen mit einer Kundin. Der Hund darf sich frei bei mir am Gelände bewegen, während wir uns unterhalten. Er rennt im Zick-Zack herum, ist zu aufgeregt, um zu schnüffeln, seine Pupillen sind geweitet, die Augen weit aufgerissen, am Gesicht zeigen sich Stressfalten. Er kommt immer wieder in unsere Nähe gelaufen, umkreist uns kurz und stösst dabei hohe Töne aus (klingt wie Winseln). Sofort spricht ihn seine Besitzerin mit freundlicher, heller Stimme an und streichelt den Hund. Manchmal bleibt er kurz stehen und lehnt sich an ihre Beine (winselt dabei), manchmal rennt er gleich weiter. Dann plötzlich hat er eine Stelle unter einem Busch gefunden, die ihn interessiert. Er steckt seinen Kopf tief rein. Die Besitzerin ruft ihn zurück. Weil er nicht gleich reagiert, wird der zweite Rückruf strenger ("Hieeer!") und der Hund kommt schließlich beschwichtigend zurück. Die Besitzerin ist begeistert, möchte den Hund mit einem Stück Futter belohnen, das er aber nicht nimmt. Stattdessen rennt er ein Stück, bevor er sich heftig auf den Rücken wirft und sich wälzt. Die Besitzerin sagt: "Na, der fühlt sich aber wohl hier," und lächelt dabei glücklich.


Stress beim Hund, Hundetraining
Die beiden Gesichter zeigen gegensätzliche Emotionen, die typisch in solchen Situationen sind. Der Mensch ist glücklich, der Hund verzweifelt, genervt und gestresst.

Ich könnte jetzt noch seitenweise so weiterschreiben und beziehe mich dabei gar nicht auf EINE Kundin/EINEN Kunden, sondern so gut wie auf fast alle. Als du das jetzt gelesen hast, hast du dich gewundert, warum ich so ein "normales" Verhalten beschreibe, oder hast du dich irgendwie unwohl gefühlt und bemerkt, dass Hund und Mensch nicht auf einer Wellenlänge sind? Dass der Hund sehr viel Stressverhalten zeigt? Dass der Mensch den Hund zu sehr kontrolliert?

Hunde, die so starke Stresssymptome zeigen, leben oft seit ihrer Welpenzeit in Familien, wo der Hund sehr im Mittelpunkt steht, weil man ihn ja sooooo seeeeehr liebt. Da wird der Hund viel und oft einfach automatisch gestreichelt. Der Mensch schafft es einfach nicht, am Hund vorbeizugehen, ohne ihn anzufassen. Auch beim Schlafen wird er oft noch einmal richtig geknuddelt, weil er sooooo süüüüüüß ist. Wenn man den Hund nicht streicheln kann, weil er gerade zu weit weg ist, dann wird er angeredet oder zumindest angeschaut. Jede seiner Bewegungen wird kommentiert, man lacht sehr viel über ihn, weil er soooooo luuustig ist. Ihm wird einfach in irgendeiner Form die ganze Zeit über Aufmerksamkeit geschenkt - auch in negativer Form durch Korrektur, Kontrolle ("Nein", "Pfui", "Lass das", "Komm", "Schau",...), Training, Leckerchen, operante Konditionierung,...

Jetzt könntest du natürlich sagen: "Na, ja, ich erkenne mich da zwar teilweise wieder, aber so schlimm kann das für den Hund wohl nicht sein. Schließlich meine ich es nur gut." Leider ist es aber für den Hund wirklich sehr, sehr schlimm. Diese Art der Überfürsorglichkeit und Kontrolle erzeugt große Unsicherheit im Hund, was in weiterer Folge zu Ängstlichkeit, Überreaktivität, Aggression, Ressourcenverteidigung und vielen anderen Problemverhalten führen kann (und meistens auch führt). Ständige Kontrolle (Training, Gehorsamkeit, Überfürsorglichkeit, Körperkontakt erzwingen, Konditionierung, auch wenn es positiv mit Futter erfolgt, auf den eigenen Prinzipien bestehen, strenge Regeln,...) führt zu Distanz. Willst du eine gute, vertrauensvolle Beziehung mit deinem Hund haben, musst du die Kontrolle abgeben.

Eine Verbindung kann nur durch Vertrauen entstehen, niemals durch Kontrolle!

Jetzt muss ich aber gestehen, dass ich mich aus diesem ganzen Kontrollzwang auch nicht ausnehmen darf. Auch ich muss mich immer wieder bei der Nase nehmen und mir sagen "Lass den Hund in Ruhe. Der will gar nicht von dir gestreichelt werden." Das kann man zum Glück leicht erkennen. Man muss es nur respektieren. Ich kann mich gut erinnern, als ich ein kleines Mädchen war, haben mir oft fremde Leute den Kopf getätschelt. Das hat mich unheimlich genervt, weil meine Privatsphäre einfach nicht akzeptiert wurde. So könnte ich mir vorstellen, dass es Hunden ergeht, wenn sie immer wieder von uns zwangsbeglückt werden. Meine 1-jährige Labradorhündin hat zum Glück gelernt, ganz eindeutig zu zeigen, wenn sie nicht angegriffen werden will. Das hat sie schon von klein auf gemacht. Sie geht einfach ein paar Schritte zurück.


Wenn du mit deinem Hund eine vertrauensvolle Bindung aufbauen und gleichzeitig Kontrolle abgeben willst, dann musst du mit ihm natürlich Zeit verbringen. Gemeinsame positive Erlebnisse schaffen Nähe und schöne Erinnerungen, allerdings müssen diese Erlebnisse wirklich auch vom Hund als positiv erlebt werden!


Was glaubst du, welche Art von Erlebnissen dein Hund als positiv empfindet?

  • Agility oder gemeinsames Herumtollen mit dir auf der Wiese?

  • Stadtspaziergang unter vielen Leuten, bei dem du ihn immer wieder an der Leine korrigierst und ihn weiterziehst, weil er nichts vom Boden fressen soll, oder eine gemeinsame Fährtensuche im Wald mit anschließendem gemeinsamen Picknick?

  • Obedience Training am Hundeplatz oder ein gemeinsamer Schnüffelspaziergang an lockerer Leine? (Und nein, der Hund muss nicht zuerst "Gehorsam" lernen, um später an lockerer Leine gehen zu können!)

  • Tricksen oder ausgelassenes Rangeln mit dir, bei dem es keine Regeln gibt?

  • Dem Ball nachrennen oder gemeinsam mit dir um die Wette laufen?

  • "Anti-Giftköder-Training" oder gemeinsame Schwammerlsuche im Wald, bei der er lernt, die Schwammerln anzuzeigen anstatt zu fressen?

Ich denke, du verstehst, was ich meine, oder? Dinge, die wir als lustig empfinden, bei denen wir den Hund vorführen (z.B. Wettbewerbe), indem wir ihn performen lassen (z.B. Dogdancing) oder ihm lustige Kostüme anziehen (z.B. Hundegeburtstagskostümpartys), sind für Hunde überhaupt nicht lustig! Obedience Training macht dem Hund keinen Spaß. Glaub mir. Warum sollte es auch? Was hat er denn davon?

Was macht dem Hund Spaß?

Hunde haben eine Superpower und das ist ihre Neugier. Immer wenn dein Hund Gelegenheit hat, die Welt zu entdecken, Sachen selbst herauszufinden, Spuren zu verfolgen, wird er unheimlichen Spaß haben dabei und danach sehr ausgeglichen und zufrieden sein. Wenn er das noch dazu an deiner Seite erleben darf, ist das für eure Beziehung Gold wert. Jede Form von Schnüffeln, Nasenarbeit, Entdeckungsspaziergänge, Spurensuche, usw. sind wunderbare Möglichkeiten, um eure Bindung zu stärken und euch zum Dreamteam zu machen. Ich verspreche dir, Gehorsamstraining kannst du dann endlich an den Nagel hängen. Denn ganz ehrlich: Macht DIR das Spaß?





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